So, Leute, nachdem ich mich wieder besser fühle und annehmen kann, auch schon mehr oder weniger dauerhaft genesen zu sein, möchte ich mich hier verbreiten, damit euch Ähnliches erspart bleibt.
Es fing mit einer verschleppten kleinen Blasenentzündung an (in der Garage gefröstelt). Sontagmorgen machen sich auf einmal Schmerzen in der Hodengegend bemerkbar (Helge Schneider würde sagen:"So, als ob ein Salamander hineingebissen hätte."). Am Montag früh also direkt zum Urologen, weil in meinem Alterimmer schlimme Gedanken aufkommen. Zum Glück wenig Leute im Wartezimmer, also kein dummes Bestehen auf Überweisung vom Hausarzt. Die Ultraschalluntersuchung ergibt Entwarnung, nur eine leichte Nebenhodenentzündung, wahrscheinlich Folge von s.o., 10 Antibiotikumpillen werden es richten. Noch während der Untersuchung zieht der drückende Schmerz vom Schritt in der Leiste hoch bis auf den rechten Beckenkamm, dann rieselt er wie heißer Sand runter in den Oberschenkel und verursacht dort auf der vorderen und rechten Hautpartie einen höllischen Schmerz, als ob man mir eine brennende Lötlampe gegen das Bein hält. Verkrampft frage ich den Doc, ob die Schmerzen nun auch mit dem Medikament weg gehen. Der sagt nur kurz angebunden:"Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, das kommt vom Rücken." Von wegen Rücken! ich habe schließlich gemerkt, dass es von unten nach oben zog und nicht von der Wirbelsäule her. Mit dem Taxi komm ich nach Hause und weiß nicht, wie ich mich vor Schmerz lassen soll. Im Sitzen geht es ganz gut, aber sobald ich ein paar Schritte tue, brennt es wieder los und dauert eine gefühlte halbe Stunde, bis es sich wieder im Sitzen beruhigt hat.
Nach einer durchwachten Nacht (unter der Bettdecke wurde alles noch schlimmer) kutschiert meine Frau mich zum Neurologen ihres Vertrauens. Da ist um 7.45h schon die Hölle los, alle haben einen Termin, das Wartezimmer ist brechend voll. Ohne Überwesinung oder schriftliche Bescheinigung des Hausarztes, dass es sich um einen Notfall handelt, will man mich nicht annehmen. Wie soll ich jetzt in meinem Zustand quer durch die Stadt zu meinem Hausarzt kommen und nachher zurück mit dem Wisch? Mir ist schleierhaft, dass man mich jetzt abweist, später aber mit Attest annehmen kann. Ich schildere eindringlich mein besch...es Befinden und die entgleisenden Gesichtszüge sprechen wohl auch für sich. Man holt den Arzt dazu. Schon völlig entkräftet erzähle ich wieder die ganze Geschichte, und auch der will mich zum Orthopäden schicken. Die erneute Schilderung der Schmerzentwicklung lässt ihn schließlich entnervt zustimmen, ich werde angenommen, muss aber 4 Stunden auf nem harten Stuhl warten. Das Dauersitzen verringert wieder das Symptom und ich habe gegen Mittag schon Angst, ihm nicht mehr genau meine Beschwerden schildern zu können.
Dann ist es so weit. er meckert mich an, nun seine Mittagspause für mich opfern zu müssen, nein, eine Entschuldigung nimmt er nicht an, das würden alle sagen. Erst als er hört, dass ich bei ihm bin, weil meine Frau mir versprochen hatte, von ihm eine treffende Diagnose zu bekommen, wird er seriös. Die Untersuchung ergibt eine Meralgia paresthetica, auch Jeanskrankheit genannt, hervorgerufen durch zu enge Bekleidung oder Einengung im Beckenbereich wie etwa auch durch Fettleibigkeit oder Schwangerschaft. Dabei wird ein Nerv, der für Berührungs- und Temperaturempfindungen im Oberschenkel zuständig ist, abgequetscht und kann dauerhaft geschädigt bleiben.
Bei mir waren es wohl die schleichend enger werdenden alten Arbeitsjeans und auch Motorrad- Lederhosen, bei denen der oberste Knopf nicht mehr zu ging, das ganze aber vom engen Gürtel gehalten wurde, deswegen auch der Name "Jeanskrankheit". Der Arzt verschrieb mir ein Neuroleptikum, das auch bei Epilepsie eingenommen wird. es sollte den Nerv beruhigen und wieder glätten, damit er nicht weiter in dem engen Bindegewebsdurchgang gereizt würde. Dadurch tritt er nämlich aus dem Bauchraum und macht einen scharfen 80 bis 90° Knick nach unten zum Oberschenkel. Ich stelle mir das wie ein Litzekabel vor, dass über eine scharfe Kante gequetscht wird. Der Nerv verliert also seine Leitfähigkeit für Alarmmeldungen bei Verletzungen und meldet den Defekt zum Gehirn. Dieses wiederum schlägt seinerseits Alarm und produziert die Schmerzen an der Stelle, wo das Warnsystem fast ausgefallen ist. Der Neurologe meinte, dass, wenn keine Besserung erfolgt, man den Nerv auch einfach kappen kann. Dann bleibt die Hautpartie zwar taub, aber das Brennen sei weg.
Zu Hause hab ich mich dann intensiv im Internet informiert und war entsetzt über einige Patientenberichte. Da waren Fälle, die wegen der Höllenqualen ihre Arbeit verloren hatten und schon an die 10 Jahre nur noch im Bett auf dem Bauch liegend vegetierten. Schöne Aussichten! Auch mit der Durchtrennung des Nervs ist es nicht immer getan. Dann kann es nämlich an den neuen Enden zu Wucherungen führen, die unkontrollierbar die Schmerzherde ausweiten, irreparabel. Einige Kliniken bieten sich an, die Bindegewebsöffnung erweitern zu können, aber auch mit den entsprechenden Risiken.
Beim Sitzen ist es deswegen problemlos, weil der natürlich Knick eingehalten wird. Beim Aufrichten wird der geschädigte Nerv wieder über die harte Kante gespannt und "nervt". Folglich machte ich die nötigen Wege in der Wohnung mit waagerecht abgewinkeltem Oberkörper, das ging eine Woche lang ganz passabel, iat aber kein Dauerzustand. Ich fragte einen Mopedfreund nach der Adresse seines tollen Naturheilpraktikers. Eine Anfrage dort ergab, dass er mich mir der Meralgia nicht zu behandeln wusste, also Essig. Ich meldete mich bei meinem Ostheopaten, der wollte sein Bestes versuchen. Tatsächlch verschaffte er mir etwas Entspannung und Linderung, aber Heilung war wohl nicht drin. Dann bekam ich unerwartet eine Sitzung bei meinem Ex- Homöopathen, der sich schon vor 9 Jahren zur Ruhe gesetzt hatte, im Notfall aber immer noch alte Patienten annimmt.
Er meinte, meine angeborene Leberschwäche spiele auch eine Rolle bei der Sache, setzte mir seine Akupunkturnadeln, beobachtete mich eine Zeit, stellte dann aber fest, dass ich aufgrund der Schmerzen nicht entspannen konnte. Also versuchte er sein letztes Mittel: er verpasste mir seinen Medikamentenmix, den ich immer respektlos "Placebo" nenne (mir aber bislang immer geholfen hatte, wenn er von einem Erfolg überzeugt war). Er bot mir an, ich solle mich melden, wenn es nicht besser werde, ansonsten sollte ich mit der sogenannten Erstverschlimmerung rechnen. Schmerzfrei ging es nach Hause. Punkt Mitternacht setzte der brennende Schmerz wieder ein, den ich durch Herausstrecken des Beins in die kalte Raumluft etwas lindern konnte, und meine Leber schien sich um das Dreifache aufzublähen. Erst um 6 Uhr war der Spuk vorbei und seitdem, also etwa 14 Tage her, wird's im Pilgerschrit besser. das Brennen ist ganz weg und das Taubheitsgefühl der Haut scheint auch nachzulassen.
Also: achtet auf weiten Sitz eurer Bünde und schnürt euch nicht ein, Hosenträger wären wohl die bessere Alternative (nur lästig beim Toilettengang mit Pullover drüber). Bei meinen ollen Arbeitshosen habe ich radikal hinten den Bund bis zu der Naht über den Taschen senkrecht eingeschnitten, eine meiner drei Lederhosen hatte, wie ich jetzt sagen muss, "glücklicherweise" Bundfalten (fand ich damals eklig, aber der Schneider und meine Frau fanden das chic ...), jetzt konnte ich die genüsslich auftrennen und die nötige Weite herstellen. Den anderen werde von einem Spezialisten einen Zwickel hinten einsetzen lassen, ich geh da kein Risiko mehr ein.
Auch gebückt am Moped frickeln ist tabu, entweder sitzend oder kniend vor unseren Göttinnen, die haben es ja auch eigentlich nicht anders verdient.
Wie gesagt, ich kann' s kaum fassen, noch so glimpflich davon gekommen zu sein, denn selbst, wenn der eigentliche Schaden sich behebt, und der Nerv wieder fein in dem Durchgang gleitet, bei lang andauerndem Nervenschmerz kann dieser sich verselbstständigen und chronisch bis zum letzten Tag werden, hab ich z.B. bei jemandem erlebt, der seine Gürtelrose nicht sofort per Notarzt hatte behandeln lassen, sondern mehrere Stunden gewartet hatte: 24 Stunden Schmerzen pro Tag waren die Dauerfolgen, als steche jemand mit einem Messer in die Hüften und bohre darin herum.
Das fatale daran ist ja, dass ja eigentlich kein körperlicher/organischer Schaden entsteht, nichts Gefährliches zu befürchten ist, aber ein derartiger Schmerz kann einen für den Rest des Lebens qualvoll außer Gefecht setzen. Und wie hätte sich die Sache entwickelt, wenn ich mich auf Anraten von zwei(!) Ärzten in eine längere Behandlung beim Orthopäden begeben hätte?
Also, passt gut auf euch auf, beste Gesundheit für euch alle!
Gruß Heinz